Wenn eine Kette zur Gefahr wird
Wie fühlt sich Judenhass an?
Von Janna Linke
Mehr als 3000 Kilometer trennen Deutschland vom Krieg in Gaza. Trotzdem fühlt sich Helen, als wäre sie mittendrin. Als deutsche Jüdin wird sie plötzlich mit Hass gegen Israel und gegen Juden konfrontiert. Das hat ihr Leben verändert.
Nervös spielt sie mit ihrer Kette. "Chana" steht dort in hebräischen Buchstaben - ein Geschenk ihres Großvaters. Eigentlich heißt sie Helen, aber wie viele andere Juden hat sie auch noch einen hebräischen Namen. "Sie soll mich immer daran erinnern, niemals aufzugeben", sagt die junge Frau und streichelt den goldenen Schriftzug. Nicht aufzugeben fällt Helen in letzter Zeit aber immer schwerer. Ihre vermeintlich heile Welt ist zusammengebrochen, seit Mitte Juli der Gaza-Krieg eskaliert ist.
Dass sich etwas verändert, habe sie zuerst bei Facebook bemerkt, sagt die Jura-Studentin. Ihre Startseite sei plötzlich voll mit Texten und Kommentaren zum Thema Israel gewesen - größtenteils negativ. Sie habe sich aber dazu entschlossen, nicht darauf zu reagieren. Soweit ihr Plan - bis ein Ereignis ihre Einstellung ändert. "Ein Freund hat auf Facebook seine Sicht auf den Nahost-Konflikt geschildert. Auf einmal gab es eine Flut von Kommentaren, die ihn als 'Scheiß Juden' beschimpft und den Holocaust befürwortet haben. Als ich das gelesen habe, musste ich weinen."
Deutschland ist ihre Heimat, hier ist sie geboren, hier will sie auch leben. Das ist Helen wichtig. Das Judentum ist ihre Religion. Einen israelischen Pass besitzt sie nicht. Die Grenzen zwischen Staatsangehörigkeit und Glaube verwischten beim Judentum aber besonders schnell. "Als Jude bist du für viele auch Israeli." Wenn die junge Frau Videos aus Berlin, Essen oder Frankfurt sieht, wo bei israelfeindlichen Demonstrationen antisemitische Parolen gebrüllt werden, beschleicht sie ein komisches Gefühl. "Es geht hier nicht um Israels Politik, es geht um den Kampf gegen die Juden."
Der Angst keine Chance geben
Wie sehr sie diese Erkenntnis mitnimmt, sieht man ihr an. Immer wieder greift Helen an ihre Halskette. Es scheint, als wolle sie sich an das Lebensmotto ihres Großvaters erinnern - Niemals aufgeben! Eigentlich sei sie kein Mensch, der oft an die Vergangenheit denke. Schließlich lebe sie im Hier und Jetzt. Aber Hass gegen Juden lässt sie unwillkürlich an das Schicksal ihrer Familie denken. Ihr Großvater hat das Konzentrationslager überlebt. Aber wie in so vielen jüdischen Familien wurden während des Holocaust die Leben vieler Angehöriger einfach ausgelöscht. Besonders schlimm sind für die 26-Jährige deswegen auch Schilder, auf denen Israel vorgeworfen wird, einen Holocaust an den Palästinensern zu verüben - zu sehen auf verschiedenen Pro-Gaza-Demos in den vergangenen Tagen.
"Die Aggression dieser Menschen macht mir schon Angst." Parolen wie "Hamas, Hamas, Juden ins Gas" hört sie in ihrem direkten Umfeld niemals. Hier fühlt sie sich sicher. Aber auch nur da. Sich in den Medien als Jüdin zu erkennen zu geben, hält Helen hingegen zurzeit für zu gefährlich. Vor ein paar Monaten hätte sie damit kein Problem gehabt, jetzt möchte sie lieber unerkannt bleiben, um kein unnötiges Risiko einzugehen.
Klar, Judenfeindlichkeit sei immer ein Thema in Deutschland gewesen - bis auf ein paar unpassende Sprüche habe sie davon aber nichts mitbekommen, sagt Helen. Ein Expertenbericht aus dem Jahr 2012, erstellt im Auftrag des Bundestages, spricht hingegen von einem latenten Antisemitismus in Deutschland. Judenfeindliche Einstellungen seien in "erheblichem Umfang" in der deutschen Gesellschaft verankert. Jeder fünfte Deutsche sei unterschwellig antisemitisch. Das zeige sich auch daran, dass in vielen Schulen das Schimpfwort "Jude" schon fast zum Allgemeingut gehöre.
Aus Vertrauen wird Unsicherheit
Für Helen hat sich aber nicht nur die Situation in Deutschland verändert, auch das Verhältnis zu Israel sei seit Beginn des Gaza-Kriegs ein anderes geworden. Auch wenn sie nicht als Israelin wahrgenommen werden möchte, habe sie, wie viele andere Juden auch, eine besondere Bindung zu dem Land. Ein Teil ihrer Familie lebe dort - mehrere Cousins wurden eingezogen. Plötzlich bekommen Bilder von Soldatenbeerdigungen für die 26-Jährige eine neue Bedeutung.
"Mir tut es im Herzen weh, wenn ich daran denke, wie die Zivilbevölkerung in Gaza leidet", sagt Helen. Sie teilt aber die Überzeugung, dass Israel sich gegen den Raketenbeschuss aus Gaza wehren müsse. "Sobald Israel aufhört sich zu verteidigen, wird es kein Israel mehr geben."
Dass Judenhass in Deutschland jemals wieder eine Chance bekommen könnte, hätte sie bis vor ein paar Wochen vehement verneint - nicht mit dieser Vergangenheit. Seitdem sie auf Gaza-Demos und in sozialen Netzwerken mit antisemitischen Parolen konfrontiert werde, sei sie sich da nicht mehr so sicher.
"Auf keinen Fall aufgeben", sagt Helen auf die Frage wie es nun für sie weiter gehe. Wieder greift ihre Hand an die Kette mit den hebräischen Buchstaben. Doch plötzlich stellt sie Überlegungen an, die ihr vorher völlig fremd waren. "Bevor ich diese Kette ablege, um meine jüdische Identität zu verbergen, würde ich Deutschland verlassen."
Quelle: n-tv.de
Das geht ja mal gar nicht! Klar, ich zähle mich selbst auch zu denen, die der Politik Israels mehr als nur ein bisschen skeptisch gegenüber stehen. Aber, bei allen guten Göttern, wie unreflektiert, nein, dumm müssen diese Menschen sein, die Israel mit dem Judentum gleichzusetzen?
Hier werden deutsche Mitbürger für die Politik eines Landes verantwortlich gemacht, mit dem sie nur die Religion gemein haben. Wann werden wir für die Kriege Amerikas an den Pranger gestellt ? (Sorry für diese zynische Überspitzung)
Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass die Politik Israels Grund für diese Ausschreitungen ist. Ich glaube, dass der Antisemitismus tiefer in Deutschland verwurzelt ist, als er es dürfte.
Ich werde für meinen Teil versuchen, sensibler mit dem Thema umzugehen. Ich werde meine politische Kritik deutlich vom Judentum abgrenzen (was für eine Idiotie, Dinge abgrenzen zu müssen, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben).
Ich werde mir auch vornehmen, aktiv dagegen zu argumentieren, wenn in einem Gespräch die Grenzen zwischen Israel und und religiöser Zugehörigkeit zu verwischen beginnen.